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Pile of Fame #9

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Der Berg an neuen Spielen wächst so rasant wie noch nie - und damit auch die Anzahl an bemerkenswerten Spielen, die im Dauerfeuer der Hypemaschinerien untergehen. Grund genug, dem allgegenwärtigen Pile of Shame zumindest ein wenig Ehre zuteil werden zu lassen und Spiele vor den Vorhang zu holen, die auch ein bisschen Fame verdient hätten - mit fast vergessenen Kleinoden, halbneuen Nischenperlen und alten Spielen, die ihr immer schon mal spielen wolltet. Im neunten Pile of Fame gibt uns wieder Marcus Richter die Ehre - dafür pausiert der olle Christof Zurschmitten wegen, ich zitiere, "Kind". Pah, I say. Pah!

Marcus Richter: Halcyon 6

Halcyon 6 ist die mittelgute Fernsehserie in meinem Leben. Manchmal will man gar nicht mehr, keine emphatische Geschichte mit Metaebene, kein strategische Herausforderung, vor der Sun Tzu erschauert wäre, oder Action, die selbst Jet Li langsam erscheinen lässt. Einfach ein bisschen klicken und sich dabei ein kleines angenehmes Gefühl von Entwicklung und Fortschritt geben.

Halcyon 6 ist auch ein Spiel, das recht zuverlässig die Triggerpunkte “Erforsche den Weltraum” und “rundenbasierte JRPG-Kämpfe” anspricht, entsprechend ist die Geschichte ebenso banal wie ausreichend: Die Menschheit wurde von den Chruul ausgelöscht, alles, was anscheinend noch übrig ist, ist eine riesige unerforschte Raumstation namens Halcyon 6.

Jetzt muss sowohl der Weltraum als auch die Raumstation erforscht werden, dabei kommt es - ÜBERRASCHUNG - zu Kämpfen. Die funktionieren rundenweise, indem sich bis zu drei Raumschiffe/Menschen gegenüber stehen und man Spezialfähigkeiten nach dem Schere/Stein/Papier-Prinzip auslösen kann. Außerdem müssen natürlich neue Raumschiffe erforscht, Offizier*innen angeheuert und die Station ausgebaut werden. Dazu nette Pixelgrafik und ein unaufdringlicher Soundtrack.

Und ja, das ist eine Allerweltsbeschreibung und ich könnte nicht sagen, was Halycon 6 so besonders macht. Aber ich hole es in unregelmäßigen Abständen immer wieder hervor, um dieses Mal wirklich das Universum von Chruul zu befreien. Das schaffe ich zugegeben nie, ich höre meistens vorher auf, um drei Monate später wieder von vorne anzufangen, wenn ich mal wieder etwas Entspannung brauche. Wie so eine mittelgute Fernsehserie eben, von der man sich schön berieseln lassen kann.

Das Einzige, wovor ich warnen muss, ist die Version für die Switch. Für Leute, die glauben, es sei in Ordnung, einen Mauszeiger mit einem Controller zu steuern, sollte es einen speziellen Platz in der Hölle geben.

Joe Köller: Titanfall 2

Kaum eine Serie fasst den Wahnsinn der Spieleindustrie so gut zusammen wie Titanfall. Der erste Teil beweist eindrucksvoll, wie opulent und lautstark der Versuch, sich in einem übersättigten Marktsegment breitzumachen, fehlschlagen kann. Dabei hat es Titanfall 1 irgendwie geschafft, gleichzeitig fader Abklatsch und gewagtes Experiment zu sein. Ausgerechnet die himmelstürzenden Metallriesen, die dem Spiel seinen Namen geben, dürften die Call of Duty Zielgruppe verschreckt haben, die man eigentlich mit Erfahrungsprogression, Rangaufstiegen, etc. locken wollte. Aber für alle, die gerne etwas anderes als Call of Duty gespielt hätten, war der reine Multiplayer-Titel eben immer noch zu nah am Original. Obwohl dem Spiel entsprechend schnell die Luft ausgegangen ist, war Titanfall 1 dennoch kein Flop. Die Vorbestellungen lieferten immerhin genug Budget, um einen zweiten Teil nachzuschieben. Und was darf bei der Fortsetzung eines reinen Multiplayer-Spiels dabei auf keinen Fall fehlen? Logisch, eine Singleplayer-Kampagne.

Es gibt keinen logischen Grund, wieso diese Singleplayer-Kampagne gut werden hätte sollen. Im Gegenteil, es ist doch geradezu absurd, Ressourcen in einen Spielmodus zu investieren, der bestenfalls als aufgebauschtes Tutorial dient, um Spieler_innen mit der grundlegenden Mechanik vertraut zu machen und dann schleunigst in den Multiplayer-Modus zu schleusen. Den eigentlichen Kern der Erfahrung. Das Erfolgsrezept der Serie. Aber aus irgendeinem Grund wurde bei eben diesem Singleplayer-Modus weit sorgsamer gearbeitet, als eigentlich nötig und - wenn wir ehrlich sind - auch sinnvoll gewesen wäre. Das Team von Titanfall 2 ist dabei so weit über die Erwartungen hinausgeschossen, dass es nicht etwa nur eine solide Kampagne gebaut hat, sondern gleich einen der abwechslungsreichsten und kurzweiligsten Shooter der letzten zehn Jahre.

Sicher, um in den Genuss dieser Erfahrung zu kommen, muss man sich auch ein wenig auf den Wahnsinn der Serie einlassen, denn die Hintergrundgeschichte rund um Rebellenmiliz und Großkonzern, die ihren Konflikt aus irgendeinem Grund mithilfe von riesigen Robotern austragen, ergibt von vornherein überhaupt keinen Sinn. Entsprechend hoch ist Titanfall 2 allerdings anzurechnen, dass es gar nicht erst versucht eine epische Geschichte über den Kampf zwischen Gut und Böse oder die Opfer des Krieges zu erzählen. Stattdessen konzentriert es sich auf die persönliche Ebene, in Form der Freundschaft zwischen dem Rebelleninfanteristen Jack Cooper und dem Titan BT-7274, der nach dem Ableben seines Vorbesitzers dringend einen neuen Piloten braucht. Als Protagonist entpuppen wir uns in der Rolle von Jack Cooper selbstverständlich als Naturtalent im Steuern von Mechs und räumen zusammen mit BT in klassischer Buddy-Cop Manier auf dem umkämpften Planeten Typhon auf.

Dabei beeindruckt Titanfall 2 vor allem mit seinem Tempo. Denn während wir im Riesenroboter eher behäbig durch die Landschaft stapfen, gehören für Piloten Sprungdüsen und Jetpack zur Standardausrüstung, mit deren Hilfe wir rasant an Wänden entlanggleiten oder durch die Luft fliegen. Zudem gönnt sich die Kampagne in den rund fünf Stunden Spielzeit keinerlei Längen, sondern jagt uns durch eine Vielzahl abwechslungsreicher Schauplätze: mal geht es auf dem gewaltigen Förderband einer Fertigungsanlage zur Sache, dann wird auf dem Rücken fliegender Transportschiffe gekämpft. Zu den Highlights des Spiels gehört ein Forschungslabor, dass wir auf zwei unterschiedlichen Zeitsträngen (zwischen denen man auf Knopfdruck wechseln kann) einerseits als brennende Ruine und andererseits als schwer bewachte Festung erkunden. Dass so viel Kreativität in den Seitenstrang eines Multiplayer-Shooters geflossen ist, hat mich überrascht wie nur wenige Spiele zuvor.

Robert Glashüttner: Circa Infinity/Breaker

Sieben Jahre alt wird der beliebte geometrisch-abstrakte Reaktions- und Konzentrationstest namens Super Hexagon dieses Jahr. Terry Cavanaghs frenetisches, im pixeligen Retrostil in Szene gesetzte Rotations-Game könnte man damit bereits problemlos als Klassiker bezeichnet, den es für eine Vielzahl an Systemen gibt - von C64 (Micro Hexagon) bis hin zu iOS. Neben der hypnotisierenden Herausforderung schätze ich vor allem die Unmittelbarkeit des Spiels. Game öffnen, drei mal tappen, drücken oder klicken, und schon ist mal mittendrin. Der oft bemühte und mittlerweile schon etwas abgenutzte Spruch "Easy to learn, hard to master" ist hier keine Marketingphrase, sondern tatsächlich Spielprinzip. Man muss das Game aber auch lernen wollen, denn Super Hexagon kann spielerisch und audiovisuell erst mal einschüchternd wirken. Beim Bewegen der Figur weiß man zunächst nicht, worauf man achten, wonach man sich richten soll. Die unnachgiebig rotierenden geometrischen Formen lassen oft nur kleine Lücken für unseren Avatar - ein winziges Dreieck! - offen, und währenddessen peitscht uns der Chiptune-Soundtrack von Chipzel nur so um die Ohren.

Drei Jahre danach, im Spätsommer 2015, ist mit Circa Infinity ein weiteres abstraktes Rotationsspiel erschienen, bei dem aber nicht die Welt, sondern wir uns auf Kreisen bewegen. Wir wechseln von außen nach innen und wieder zurück. Je länger man spielt, desto mehr Ebenen kommen hinzu. Auch hier sollte man sich vom Game hypnotisieren lassen, um vollends in seinem Kaninchenbau aufgehen zu können. Dabei ist vor allem das Bewegen auf den Kreisen eine ungewöhnliche Sache, die uns unsere Synapsen wesentlich mehr verknotet als konventionellere Games, die auf einer horizontalen oder vertikalen Ebene stattfinden. Ungewohnt ist es unter anderem deshalb, weil die klassischen Eingabemöglichkeiten von Tastatur und Joypad für das Bewegen auf Kreisen nicht wirklich geeignet sind. Denn es gibt zwar auch bei Kreisen links, rechts, oben und unten - aber die Reise von Punkt A nach Punkt B verläuft ganz anders! Das Arcade-Game Tempest aus 1981 löst dieses Problem mit einem Spinner als Eingabegerät, der übrigens auch schon bei PONG zum Einsatz gekommen ist. Doch unabhängig vom Eingabegerät will die Navigation auf runden Ebenen geübt sein. Die (rotierenden) Kreise verlangen von uns, dass wir unsere automatisierten Steuerungstechniken im Gehirn neu programmieren.

Auch meine ersten Schritte in Breaker waren von Ratlosigkeit und Steuerschwierigkeiten geprägt. Ein PONG-artiges Paddle bewegt sich dabei nicht von oben nach unten oder von rechts nach links - sondern, erraten, im Kreis. Aus der Mitte kommen Projektile in zwei Farben geschossen, die wir mit dem Schläger retournieren können. Doch die Bewegungsrichtung sollte immer stimmen! Denn die Farbe des Schlägers wechselt stets, wenn wir die Richtung wechseln. Breaker ist ein Tanz der pixeligen Farbkugeln, der immer schneller und unübersichtlicher wird, je mehr Zeit vergeht. Sich auf eine Farbe, und damit eine Richtung, zu konzentrieren, macht Sinn und sorgt dafür, dass Chaos und Überforderung erst mal außen vor sind. Aber was wäre ein abstrakter Reaktions- und Konzentrationstest ohne fiese Schwierigkeitssteigerungen? Schon nach den ersten paar Minuten befeuern uns manche Gegner mit derart dichten Projektilwellen, dass nur schnelles, gezieltes Reagieren hilft. Hier fordert uns die Steuerung am Kreis mal wieder ordentlich heraus. Denn die nötige Routine stellt sich nicht so schnell ein, wie man es gerne hätte. Gleichzeitig sollte man sich auch nicht selbst überfordern. Die oberste Regel beim Spielen von Bullet-Hell-Games trifft auch hier zu: Immer in der eigenen Geschwindigkeit spielen, Muster in den Schüssen finden und sich vor allem nicht aus der Ruhe bringen lassen. Breaker vom australischen Indie-Entwickler Daniel Linssen ist ein verstecktes, kleines Meisterwerk und ein würdiger inoffizieller Nachfolger von Super Hexagon, übrigens mit einem fantastischen Chiptunes-Soundtrack von Dubmood ausgestattet. Das Game gibt es exklusiv auf Itch.io als Teil von The 2018 Fantastic Arcade Bundle.

Rainer: Hoplite

Auf meinem Smartphone wechseln die Mobile Games aus beruflichen Gründen rasend schnell, einen besonderen Platz hat allerdings ein Spiel, das ich vermutlich auch auf jedes einzelne meiner zukünftigen Telefone, Smart Glasses und Neuro-Implantate aufspielen werde: Hoplite. Es ist für Android gratis und kostet auf iOS läppische 3,50 Euro, also bitte: Statt weiterzulesen, holt es euch einfach und lest dann weiter. Falls ihr Zeit habt, denn ich vermute eher, ihr werdet Hoplite spielen.

Ihr seid noch da? Na gut, dann erkläre ich doch, worum’s geht: Hoplite ist faszinierendes Taktik-Schach, in dem ein einsamer griechischer Krieger mit trügerisch simplen Regeln Runde um Runde gegen eine stetig anwachsende Gegnerschar ankämpft. Mit jedem Schritt, den unser Krieger auf dem Hexfeld-Spielfeld macht, bewegen sich auch die pro Kerkerlevel mehr und gemeiner werdenden Ungeheuer; Ziel ist der stetige Abstieg, um das goldene Vlies aus Level 16 zu holen. Mit Schwert, Schild und Speer lässt sich die Gegnerschar bekämpfen, Altäre in jedem Level bieten Heilung oder diverse Upgrades an; die reichen von simplem “Mehr HP” über neue Kampffähigkeiten wie das Durchbohren zweier Gegner bis hin zu esoterischeren Kombinationen, etwa “Wenn du drei Kills hintereinander schaffst, bekommst du HP zurück”. Dem Zufall ist dabei nur die - recht simple - Generierung der Level sowie die Auswahl an möglichen Upgrades überlassen, denn wie sich die Gegner verhalten werden, ist jederzeit vorher einschätzbar und muss wohlbedacht werden - das geht nicht so weit wie in Into the Breach, aber als Strategiespiele ganz ohne Glücksfaktor bewohnen beide irgendwie dieselbe Nische.

Die nächste Verwandtschaftsbeziehung verbindet Hoplite mit den einzigartigen Taktik-Rogue-likes des Games-Zauberers Michael Brough, denn da wie dort wird aus einfachen Regeln erstaunliche Komplexität und Spieltiefe generiert. Was Hoplite allerdings den doch recht esoterischen Spielen Broughs voraus hat, ist seine sympathische Geradlinigkeit. Ein Spiel, das man immer und immer und immer wieder spielen kann und das auf jedes mobile Spielgerät gehört.

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Die stille Apokalypse

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Liebe Freunde,

Ich bin nun endlich aus den Untiefen der Uni-Bibliothek entkommen und hatte wieder genug Zeit, um meine Gedanken über Spiele in Videoform zu gießen. Diesmal geht es um The Long Dark, das melancholische Survivalspiel im kalten Kanada, dem auch Kollege Sigl vor langer Zeit schon seine Liebe ausgesprochen hat. Darüber hinaus gab es vor kurzem ein Video zu Dark Souls und der Frage, wie wir lernen in Spielen besser zu werden. Wer mit Bewegtbild nichts anfangen kann, findet die Skripten wie üblich in der Videobeschreibung. Weiterführende Literatur gibts auf Patreon. Sämtliche Inhalte sind natürlich prüfungsrelevant.


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#stayathome - und Gute Reise!

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TL,DR: Zu Hause bleiben und trotzdem andere Welten bereisen? In Kürze startet hier eine Serie von Texten, die auch Neueinsteigern einen Weg zu den Welten hinter dem Bildschirm zeigt - ein Reiseführer in die Welt der Videospiele, für Menschen mit und ohne Kindern.

Dass Videospiele nicht nur Gegenstände sind, sondern auch Orte, steht sowohl im Namen dieses Blogs als auch in seiner DNA. Und wann wäre dieser Umstand erfreulicher als genau jetzt, wo uns eine globale Pandemie dazu zwingt, auf den Besuch vieler realer Orte zu verzichten? Videospielourismus, das bedeutet einerseits, dass man sich auf eine Reise macht zu den Orten hinter dem Bildschirm, zum anderen aber auch: dass man einen anderen Blick als den alltäglichen auf das hat, was man dort findet.

Die Welten hinter dem Bildschirm, in die uns Videospiele einladen, sind tatsächlich einzigartig, bunt, kreativ und für Alt und Jung, Groß und Klein, Erfahren und Unerfahren eine Reise wert, ganz egal ob Kurztrip, Wochenendausflug, Abendspaziergang oder Haupturlaub. Keine bessere Zeit als jetzt, dieses Blog längst überfällig aus dem Dornröschenschlaf zu küssen und ein bisschen Videospieltourismus zu betreiben - mit einer mehr oder weniger regelmäßig stattfindenden Serie von Einladungen in die Welten hinter dem Bildschirm. Bekannte und noch unbekannte Gastautoren übernehmen unter dem Titel #stayathome - und Gute Reise! als erfahrene Tourguides die Reiseleitung und erzählen, wohin jeweils die Reise gehen könnte - als Anregung, Einladung und Einführung auch für all jene, die dieser Welt noch skeptisch gegenüberstehen.

Und weil viele von uns auch Kinder haben, wird auf das gemeinsame Spielen mit kleineren und größeren Videospieltouristen ein besonderer Fokus gelegt - nicht unbedingt streng und trocken im Sinne des “pädagogischen Spielens”, sondern als Angebot eines gemeinsamen Erlebnisses in Zeiten, in denen die eigenen vier Wände eng werden.

Viel Spaß damit, bleibt gesund, bleibt zuhause - und gute Reise!

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#stayathome 01: Chariot

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Zu Hause bleiben und trotzdem andere Welten bereisen? Diese Serie will auch Neueinsteigern einen Weg zu den Welten hinter dem Bildschirm zeigen - ein Reiseführer in die Welt der Videospiele, für Menschen mit und ohne Kindern. Den Start macht Eugen Pfister mit einem Spiel für große und kleine Menschen ab circa acht Jahren.

Quarantäne also, oder besser gesagt Quasi-Quarantäne. Mein achtzehnjähriges Ich hätte das wahrscheinlich ziemlich kalt gelassen. Das Ausgehverbot war selbstaufgelegt, irgendwie. Zumindest hätte ich nicht viel Unterschied gemerkt zum sonstigen Alltag. Ich hätte Civilization II gespielt vor allem und irgendwann Prüfungen an der Uni geschrieben. Das wäre vielleicht auch online gegangen. Heute ist das ja alles etwas anders, irgendwann bin ich versehentlich ziemlich sozial geworden. Und dann sind dann ja auch noch meine beiden Buben (3 und 10). Die sind auch mit Grund dafür, dass ich gar nicht so sehr Gefahr laufe, dass mir gerade langweilig werden könnte.

Zum Glück habe ich ja schon früh angefangen, mit den Buben gemeinsam Computerspiele zu spielen, am iPad, auf der Xbox360 und auf der PS4. So konnte ich von Anfang an ihre Spielekompetenz fördern und auch ein wenig Einfluss darauf nehmen, was sie gut finden. Und ja, es ist extrem wichtig, dass die Spiele, die meine Kinder spielen, auch mir gefallen, sonst würde ich sie ja nicht spielen wollen. Und gemeinsam spielen ist etwas Wunderbares. In den nächsten Wochen werde ich dann auch gern Empfehlungen geben, was die Kinder guten Gewissens alleine spielen können – damit man zumindest das eine Mail schreiben kann. Anfangen will ich aber mit der schönsten gemeinsamen Spielerfahrung mit meinem älteren Sohn.

„Find me a sepulchre, worthy of my magnificence and fill it with riches!“

Vor circa zwei Jahren, da ist er gerade acht geworden, vielleicht aber auch schon ein bisserl früher, habe ich mit meinem älteren Sohn gemeinsam auf der PS4 Chariot gespielt. Ich suche ständig nach sogenannten Co-Op-Spielen, die man zu zweit auf der Couch spielen kann, und "Chariot" war ein absoluter Glücksgriff. Zuvor hatte ich nichts von dem Spiel gehört und – um ehrlich zu sein – auch nachher nichts mehr. Dabei stimmte – für uns zumindest – alles an dem Spiel. Es ist vereinfacht gesagt ein Puzzle-Plattformer und erzählt die Geschichte einer jungen patenten Prinzessin, die sich durch gefährliche Gegenden schlagen muss, um den verstorbenen Leib ihres Vaters an seine letzte Ruhestätte zu bringen, in einem Sarg, auf einem Wagen – dem namensgebenden Chariot. Für Melancholie und Pathos ist trotzdem keine Zeit. Der Geist des verstorbenen Vaters ist wählerisch, er nörgelt gerne und kein Mausoleum mag ihm gefallen Noch grösser muss es sein, noch aufregender die Umgebung. Spielt man zu zweit, kommt noch ein junger Prinz hinzu. Im Tandem ziehen dann die beiden geschickten Sprösslinge den Wagen an Seilen hinter sich her, hieven ihn auf erhöhte Plattformen und müssen dabei ständig darauf achten, dass er nicht umkippt. Sonst endet das Spiel.

„Are we there yet?“

Das Prinzip ist simpel, die Seile sind nur begrenzt lang und es geht vor allem darum, schnell gemeinsam Physik zu lernen, um an die zunehmend schwieriger zu erreichenden Endpunkte zu gelangen. Damit uns nicht langweilig wird ,wird das Ganze dann in verschiedenen Welten durch Glatteis, aufsteigende Lava und Treibsand erschwert und durch kleine hinterhältige Biester, die unsere Schätze stehlen wollen, die wir so en passant einsammeln. Etwas Magie steht uns auch zur Verfügung, mit deren Hilfe wir zum Beispiel die Zeit verlangsamen oder den Leichenwagen wegstoßen können.

Das Ganze fühlt sich erstaunlich dynamisch und natürlich an. Die Lautenmusik und die quietschbunte Umgebung nerven auch nach vielen Stunden nicht. (Keine Ahnung wie das überhaupt möglich ist.) Man kriegt bald ein Gespür für die physikalischen Regeln der Spielwelt und lernt, diese spielerisch auszunutzen. Dabei gibt es immer wieder Stellen, die zumindest meiner Ansicht nach „absurd schwer“ sind. Und es zeichnet das Spiel aus, dass ich gemeinsam mit meinem Buben trotzdem nie aufgab, und dieses eine verdammte Lavalevel halt dreißig Mal ausprobiert habe, bis wir es dann doch geschafft haben. Und ja, das war ein erhabener Moment, den wir da zu zweit geteilt haben. Wir waren wirklich aufgekratzt, Glückshormone, quasi Hilfsbegriff. Eventuell hätten wir uns ähnlich gefühlt, wenn wir gemeinsam ein Baumhaus gebaut hätten oder einen Halbmarathon gelaufen wären. Wer kann das schon sagen? Beides recht unrealistische Szenarios, das nur angemerkt.

„I was told there would be a bright light. WHERE IS MY BRIGHT LIGHT?“

Wer also Lust hat, mit einer oder einem Heranwachsenden ab- geschätzt - acht Jahren ein schönes, intelligentes und witziges Puzzle-Plattformer Spiel zu spielen, der sollte unbedingt nach Chariot greifen.

Chariot, erschienen für PS3, PS4, Xbox One, Wii U und WIndows.

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#stayathome 02: Chuchel

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Zu Hause bleiben und trotzdem andere Welten bereisen? Diese Serie will auch Neueinsteigern einen Weg zu den Welten hinter dem Bildschirm zeigen - ein Reiseführer in die Welt der Videospiele, für Menschen mit und ohne Kindern. Rainer Sigl hat genau das Richtige für Erwachsene, Kinder ab sechs - und sogar noch kleinere Zuseher.

Mein Sohn ist sechseinhalb, meine Tochter zweieinhalb Jahre alt; ganz schön schwierig, sich da sinnvoll zu einem gemeinsamen Spiel zu versammeln. Abgesehen von der ganz naheliegenden Lösung, mit dem Filius erst zu spielen, wenn Schwesterchen schon schläft oder sonstwie beschäftigt ist, gibt es eine Alternative, oder besser gesagt: mehrere. Die großartigen Spiele des Brünner Indie-Studios Amanita Design empfehle ich seit fast einem Jahrzehnt jedem und jeder, der oder die mich nach Spielen für Groß und Klein fragt. Und das mit gutem Grund.

Von Samorostüber Botanicula bis hin zu Chuchel und Pilgrims: Die kleinen, liebevoll illustrierten und fantastisch vertonten Point&Click-Abenteuer sind die interaktiven Erben der berühmten tschechischen Animationstradition. Eigentlich kann man alle bisher erschienenen Spiele des Studios Menschen mit Kindern (und auch ohne!) bedenkenlos empfehlen, mit dem vorletzten Spiel von Amanita Design kann man sich auch mit jüngeren Knirpsen gemeinsam auf den Weg in eine absurde Slapstick-Welt machen.

In Chuchel ist man als kleiner oranger Wollknäuel auf der schier endlosen Jagd nach einer Riesenkirsche; dabei stehen absurd-komischer Humor, überdrehte Slapstick-Action und ganz viel Abwechslung im Mittelpunkt. Im Unterschied zu den anderen Spielen sind die jeweiligen Szenen hier selten mehr als zwei Bildschirme lang, das bedeutet zum einen größere Konzentration auf einzelne Rätsel und zum anderen, dass man das Spiel wunderbar in kleinen und größeren Häppchen spielen kann; einzelne Szenen lassen sich dabei nach erstmaligem Lösen immer und immer wieder besuchen.

Gesprochen wird in Chuchel nicht, oder besser gesagt: in keiner richtigen Sprache. Stattdessen brabbeln sowohl der Held als auch die fantasievollen Figuren in einer expressiven Fantasiesprache, die gemeinsam mit minimalistischer, aber überraschend ausdrucksstarker Mimik und Gestik völlig ausreichen.

Das Schöne an Chuchel ist, dass es immer wieder neue Aufgaben stellt: Meistens erwartet einen klassische Point&Click-Rätselei, in der es meist um die richtige Reihenfolge geht. Es ist keine Schande, hin und wieder die direkt verfügbare Hilfe-Funktion zu nutzen, in der auch ohne Worte per Piktogramm Hilfe gegeben wird; Tüftler ab circa sechs Jahren finden so auch bei den kniffligeren Rätseln schon mal ganz stolz allein zum Ziel. Mindestens ebenso oft gilt es in Chuchel aber kleine Geschicklichkeitstests zu bestehen, und die zitieren die großen Klassiker der Games-Geschichte: Es gibt Hommagen an Pac-Man, Tetris, Space Invaders sowie eine recht ansehnliche Menge an anderen (simplen) Actionspielen, die zum Glück niemals frustrierend werden.

Chuchel ist ein großer Spaß, den man allein ebenso wie gemeinsam mit Kindern spielen kann; selbstständig beschäftigen sich Kinder ab circa sechs Jahren nach einer kurzen einleitenden gemeinsamen Anspielphase damit. Am besten ist es allerdings, dieses Abenteuer gemeinsam zu erleben; auch die ganz kleinen Geschwister haben daran ihren Spaß, denn immerhin gibt’s hier ja sowas wie die interaktive und zugegeben etwas anarchischere Version von Trickfilmen der Sorte Sendung mit der Maus anzuschauen.

Kleine Warnung, immer gültig, hier besonders: Zu viel Zeit am Stück sollte man auch mit Chuchel nicht verbringen. Der überdrehte Humor und vor allem die enthusiastische Intensität der lautstarken Kirschenjagd ermüden die Eltern irgendwann mehr als die begeisterten Kinder.

Chuchel ist für iOS, Android, Windows, Mac und Linux erschienen.

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#stayathome 03: Der Streichelzoo von Christoph Niemann

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Zu Hause bleiben und trotzdem andere Welten bereisen? Diese Serie will auch Neueinsteigern einen Weg zu den Welten hinter dem Bildschirm zeigen - ein Reiseführer in die Welt der Videospiele, für Menschen mit und ohne Kindern. Eugen Pfister zu einem heilklen Problem.

Also schwieriges Thema: kleine Kinder und Computerspiele. Irgendwann müssen wir ja darüber reden, auch wenn wir natürlich alle, eigentlich durchgehend – und vor allem während der Ausgangssperre – nie auf die Idee kämen unsere Allerliebsten mit Computern, Konsolen und Handys spielen zu lassen. Wir hätten bei all den Basteleien und Kuchenbacken und Turnübungen und Puppentheaterspielen und Gärtnerarbeiten ja auch gar keine Zeit dafür, oder? Und wir fanden sie ja auch immer so schrecklich, diese anderen Eltern, die in den Wirtshäusern und Cafés ihre Kinder mit ihren Handys ruhigstellten, aus denen dann nervtötende Quietschgeräusche erschallten.

Jetzt ist es aber so, dass man sich beim besten Willen nicht den ganzen Tag nur auf sein(e) Kind(er) konzentrieren kann. Irgendwann muss man auch arbeiten oder nachdenken oder beides. Irgendwann sollen sich die Kinder zumindest für ein paar Minuten selbst beschäftigen. Meine Mutter hat mich damals in den Garten gestellt mit den pädagogisch wertvollen Ratschlag: „Mach irgendwas.“ Das ist natürlich schön und gut für die Lunge und so, aber man braucht auch einen Garten dazu. Und ob man jetzt die kleinen Isadora vor Netflix oder eine PS4 setzt, ist qualitativ kein Unterschied an sich. Beides kann ebenso gut hochwertige Unterhaltung wie auch Schund bedeuten. Es bleibt uns also in beiden Fällen nichts anderes übrig, als uns etwas ausführlicher mit dem Angebot auseinanderzusetzen.

Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus finde ich es vor allem wichtig, dass die Kinder selbst eine gewisse Medienkompetenz entwickeln sollen. Ebenso wie einen persönlichen Geschmack übrigens, also eine eigene Meinung dazu, was ihnen gefällt und was nicht. Wenn sie das dann auch argumentieren können, auch wenn sie aus unserer Sicht eindeutig im Unrecht sind, sind sie eigentlich auf einem ganz guten Weg. Ich finde, das hat immer dann gut funktioniert, wenn ich viel mit ihnen gemeinsam gespielt habe.

Das ist jetzt natürlich gegenintuitiv, weil dann verbringt man ja erst recht wieder mehr Zeit mit Kindern. Geht aber nicht anders, wenn man will, dass die Kinder auch in Zukunft was Gescheites spielen. Denn ein erster Blick auf die App-Zentren unserer Handy ist eher ernüchternd: dämliche, übertrieben bunte Apps und Spiele mit unerträglicher Musik, Werbung und den gefürchteten In-App-Käufen. Um Spiele zu finden, die man selbst gerne mit den Kleinen spielt muss man dann schon länger suchen, Freund*innen fragen und auf einschlägigen Seiten – wie dieser – nachlesen.

Und das kann ich nicht oft genug wiederholen: Wenn ich mit meinem Dreijährigen etwas am Handy oder Tablet spiele, muss es mir auch Spaß machen, weil mein Selbstkasteiungstrieb trotz katholischen Religionsunterrichts unterentwickelt geblieben ist. Spiele mit Werbung und In-App-Käufen gehen da gar nicht. Hässliche Ästhetik und unerträgliche Musik auch nicht. Bei mir kommt dann noch erschwerend hinzu, dass ich die meisten populären Kleinkinder-Franchises mit Hundepolizisten, sprechenden Hämmern und Lokomotiven leider nur ganz schwer aushalte und schon schrumpft das Feld potenzieller Spiele auf eine übersichtliche Größe.

Zum Glück gibt es aber trotzdem noch genug: die Spiele von Fox and Sheep zum Beispiel. Aufmerksam bin ich auf die Entwickler über den Streichelzoo von Christoph Niemann geworden, einen Designer und Grafiker, dessen Arbeit ich sehr bewundere. (Es gibt sogar eine Netflix-Doku mit einer Episode zu ihm).

Und das Spiel ist eben einfach wunderschön und zugleich wundervoll unsinnig. Abwechselnd dürfen wir die elegant gezeichneten Tiere Unsinniges machen lassen, ein Elefant in der Badewanne spritzt Wasserfontänen aus seinem Rüssel, Basketball spielende Affen werfen einander den Ball ins Gesicht, die Mähne eines Löwen darf in unterschiedliche Richtungen geföhnt werden, ein Bär quetscht sich etwas unbequem auf unseren Bildschirm. Mein persönlicher Liebling ist übrigens der Dackel.

Die Tiere sind jeweils nur mit wenigen Strichen gezeichnet. Die Kurzspiele extrem einfach. Zu gewinnen gibt es nichts. Auch einen High-Score oder eine Hintergrundgeschichte sucht man vergebens. Der Hintergrund ist einfarbig, die Übergänge von Tier zu Tier sind in ihrer Traumhaftigkeit hypnotisierend. Am ehesten erinnern die Spiele vielleicht an die Tiergedichte von Jacques Prévert. Vielleicht aber auch nicht. Das ist jetzt auch wirklich nicht so wichtig. Wichtig ist, dass man dem Spiel anmerkt, dass es bewusst dafür designt wurde, uns und unseren Kindern zu gefallen: kein unangenehmer Ton, keine grellen Aufmerksamkeitsschreie.

Vielleicht ist es in diesen Zeilen schon etwas durchgeklungen. Das Spiel wird uns und unsere Kinder nicht über Stunden mit pädagogisch wertvollen Inhalten beschäftigen, aber es zieht doch für einige Minuten unsere Aufmerksamkeit in seinen Bann. Und manchmal können in diesen Wochen ja schon ein paar Minuten sehr helfen.

Der Streichelzoo ist für iOS und Android erschienen.

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#stayathome 04: Kingdoms & Castles

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Zu Hause bleiben und trotzdem andere Welten bereisen? Diese Serie will auch Neueinsteigern einen Weg zu den Welten hinter dem Bildschirm zeigen - ein Reiseführer in die Welt der Videospiele, für Menschen mit und ohne Kindern. Diesmal warnt Rainer Sigl vor Zeitverlust.

Aufbaustrategiespiele sind nicht unbedingt ein Kinderspiel. Auch wenn sie niedlich aussehen, werden sie schnell komplex und verkommen so hin und wieder - sorry, Fans - zu grafisch aufgepeppten Buchhaltungsaufgaben mit Optimierungszwang. Wer sich also vielleicht mit seinem Nachwuchs an einem verregneten - oder aber: strahlend schönen - Nachmittag vor den Monitor sitzen muss, läuft Gefahr, mit Skylines, den Siedlern oder Anno vielleicht kurzfristiges Interesse zu wecken, aber auf Dauer ist das eher nichts für die gemeinsame Beschäftigung.

Da kommt Kingdoms & Castles gerade recht. Das Aufbauspiel im blockigen Voxel-Look lässt uns mit einem einzigen Burgturm beginnen und daraufhin zum Architekten eines Dorfs, einer Kleinstadt bis hin zur mittelalterlichen Metropole werden. Das Spiel ist dabei trotz seines minimalistischen Looks durchaus komplex, aber niemals zu kompliziert. Vor allem, weil man es sich so einfach oder schwer machen kann, wie man will.

Im vollständigen Kampagnenmodus ist es nicht nur nötig, seine Stadt zu errichten und die Versorgung sicherzustellen, sondern man hat sich auch gegen viele Gefahren zu verteidigen: Da gibt es Räuber, feindliche Heere und sogar Drachen, die die eigene Stadt bedrohen. Am anderen Ende der Schwierigkeitsskala ist der Sandbox-Modus, in dem es keine Herausforderungen gibt und in dem ich wie auf dem Reißbrett meine Traumstadt mit riesiger Burg, großer Stadt und mächtigen Befestigungsanlagen hochziehen darf, ohne auf Ressourcen oder gefahren achten zu müssen.

Ich habe beim Spielen mit meinem fast siebenjährigen Sohn den Mittelweg gewählt: Wohl mussten wir klug planen und bauen und auf die wachsende Anzahl von Ressourcen achten, die meinen schrittweisen Ausbau begleiteten. Ohne Holz kann man eben kein Haus bauen, ein Steinbruch liefert Material und bevor ich eine Schatzkammer errichtet habe, kann ich eben keine Steuern einheben. Meine Bewohner wollen essen, also muss ich Felder, Fischereiflotten und Schweinefarmen bauen. Hin und wieder bricht ein Feuer aus, einmal sorgte sogar ein Aufflammen der Pest für eine (zum Glück kurze) Winterkrise.

Feinde haben wir allerdings in unserer Partie keine zugelassen. Wir wollten eben beide nicht immer wieder gegen Angreifer kämpfen müssen, oder riesige Verteidigungsanlagen bauen. Wir wollten ein Dorf zum Städtchen zur Stadt werden lassen; das ist schon Herausforderung genug, denn Stress soll der unter der Haube erstaunlich vielschichtige Aufbau nicht mehr als nötig machen. Kingdoms & Castles ist erstaunlich komplex und zugleich so freundlich, dass man es gemeinsam mit großer Begeisterung spielt; und der Sandkastenmodus ist überhaupt so etwas wie der Mittelalter-LEGO-Baukasten für groß und klein. Ein kleines, großes Spiel für jeden.

Kingdoms & Castles ist für Windows, Mac und Linux erschienen.

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#stayathome 05: Drinnen nach draußen kommen

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Zu Hause bleiben und trotzdem andere Welten bereisen? Klingt einfach, ist es aber nicht. Felix Knokeüber das Problem mit dem Kinderspiel.

Ich dachte, in der Coronakrise könnte ich meinem Kind endlich das Spielen zeigen. Ich wollte ihn mitnehmen zu den höchsten Gipfeln des Mun, mit ihm durch die Pixellandschaften von Minecraft wandern, unmögliche Maschinen bauen und noch unmöglichere Abenteuer erleben. Ich hatte mir erhofft, dass ihm Spiele die beengte Welt vergrößern und neue, spannendere Welten hinter unserem Wohnzimmer eröffnen würden. Ich konnte kaum darauf warten, dass seine Freunde miteinsteigen würden, oder sogar wir als Familie, mit dem Gamepad in der Hand…

Aber Pustekuchen. Mein Kind ist noch zu klein für Spiele. Sind die Spiele zu interessant, krieg ich es nicht mehr vom Bildschirm. Sind sie zu langweilig, bleibt es zunehmend unglücklicher am Bildschirm kleben. Und nichts, was wir noch anbieten können, reicht an den verbotenen Reiz eines verschlossenen iPads heran. Meistens endet das Spielen also im Streit. Und Streit ist in der Krise, was die Krise schon selbst genug ist.

Dass man die eigenen Kinder nicht spielen lassen will, hatte ich immer als eine Art Schonhaltung erwachsener VideospielerInnen empfunden. Je besser man Videospiele und ihre Mechanismen kennt, desto größer wird die Furcht vor ihnen: dass sie Sucht erzeugen, falsche Rollenbilder vermitteln, Militarismus und Neoliberalismus glorifizieren, politisch meist rechts, intellektuell meist unten und ästhetisch ganz weit hinten stehen. Dass sie dunkle Designmuster gegen uns verwenden und oft so etwas wie Spaß machen, aber bestimmt keine Freude.

Ich spiele oft und viel Videospiele. Besonders liebe ihre entgrenzten Zustände (ja, gerade auch Gewalt), den Flow und ihr unerforschtes Potenzial. Gerade in so einer Zeit der Begrenzung und Verdichtung ermöglichen sie mir die Flucht ins Innere. Aber ich fürchte auch die dunklen Mechanismen der Spiele, die zwanghaften Spiel-Schleifen, die gezielte Frustration, das ewig uneingelöste Versprechen – also genau die verengten Zustände und Zwänge, denen ich entkommen will. Gerade in so einer Zeit der Ohnmacht, scheinen mir Spiele ein Gefühl von Kontrolle zu geben – und das Erfolgserlebnis, etwas, das nur mich etwas angeht, besonders gut zu können. So zu spielen ist keine Flucht sondern Vereinzelung.

Ich kann mein Kind nicht mit Videospielen alleine lassen. Aber ich kann mit ihm zusammen spielen. Hin und wieder darf es eine Gamepad in die Hand nehmen und ein bisschen Motorrad oder Auto in Burnout Paradise fahren. Ich gebe Gas, mein Kind lenkt. Am Handy hat es sich weitgehend selbst beigebracht, mit Space Agency ( Android / iOS ) eine vorgefertigte Rakete zu starten – nur darf es selten ans Handy. Deswegen baue ich und mein Kind startet. Bevor die Rakete im Orbit ist, ist das Spiel langweilig geworden. Nur der Countdown zählt. Am meisten Spielzeit verbringt mein Kind aber mit mir und Kerbal Space Program. Länger als 20 Minuten hält es das nicht aus – und das ist natürlich der Grund, warum wir genau das spielen.

Ein Videospiel ist für mein Kind vor allem ein Spiel ohne weitere narrative oder ästhetische Dimensionen.

Aber 20 Minuten ist nichts, jetzt, wo Bildschirmzeit nicht nur ein Luxus, sondern eine familienhygienische Notwendigkeit ist. Vorm Fernsehen könnte mein Kind stundenlang sitzen. Die hübschen, süßen, poetischen, cleveren Spiele, die einem allenthalben Empfohlen werden, hält es nicht einmal eine halbe Stunde durch. Die Frage ist natürlich: Wenn schon Bildschirm, wo ist dann mein Kind besser aufgehoben? Mein Argument bisher war: Gut ausgewählt, sind Videospiele garantiert ein besserer Zeitvertreib als der Kinderfernseh-Wahnsinn. Aber seitdem ich mit meinem Kind, seiner Mutter und mir selbst herzlich über diese Haltung darüber gestritten habe, bin ich mir da nicht mehr sicher.

Ich beobachte mein Kind, wie es fernsieht und wie es spielt. Er ist emotional total mit seinen Serien verbunden, kommentiert jede Szene und erzählt uns, was passiert. Die Serienfiguren werden Teil seines Spiels auf dem Wohnzimmerteppich, es lacht und spricht von seinen Fellfreunden – in seiner Fantasie ist es längst selbst einer von den Hunden. Die Videos und deren Geschichten sind Teil seines Alltags, wir können über sie sprechen und die Charaktere in unseren Geschichten weiterleben lassen. Bei Videospielen ist das ganz anders, egal, wie erzählerisch sie tun oder wie viel Mühe sich sich mit lustigen Charakteren machen. Ein Videospiel ist für mein Kind vor allem ein Spiel ohne weitere narrative oder ästhetische Dimensionen. Es gibts nichts nachzuahmen, zu erzählen und selbst das Erforschen und Ausprobieren und Verbiegen oder gar Überwinden dieser Welten spielt keine Rolle.

Das hübsche Rätselspiel Windosill von Vectorpark ist für mein Kind nicht mehr als ein Papierpuzzle. Dessen Pixelwelten sind genau so im Hintergrund, nur funktionell wichtig, wie das zerlegte Bild auf den Puzzlestücken. Der tolle Unsympath Chuchel von Amanita Design lässt mein Kind kalt. All die schönen Charaktere und anderen Spieldinge nimmt mein Kind nur als Spielzeug wahr, als Objekt seiner Spiellust. Dabei sind doch gerade Emotionen und Gemeinschaft, was meinem Kind fehlt. Ihr wie auch immer gearteter poetischer Charme oder ludische Tiefe offenbaren sich nur mir – es sind Spiele für Eltern. Emotional und erzählerisch und intellektuell ist er am Fernsehen besser aufgehoben.

Diese Beobachtung hat mich ganz bange gemacht: Erstens muss das falsch sein, weil Fernsehen kacke ist. Zweitens könnte das ja auch auf mich zutreffen: Spiele ich etwa auch aus den falschen Gründen und verpasse die kommunikativen und kulturellen also anschlussfähigen Schätze des Fernsehens?

Vielleicht spielt mein Kind einfach zu wenig Videospiele, um deren anderen Gehalt als den der schnellen Reiz-Reaktions-Befriedigung zu erkennen? Ich würde gerne mit meinem Kind darüber reden können, was es spielt und wie es das wahrnimmt. Es soll nicht allein sein, es könnte unsere gemeinsame Sache sein – und immerhin, glaube ich, würde ich es verstehen können. Als ich ein Kind war, verstand niemand, warum Videospiele magisch waren. Und es interessierte sich auch niemand dafür. Aber ich befürchte, dass ich zu viel von meinem Kind erwarte. Vielleicht fehlt ihm schlicht die Fantasie dafür.

Vielleicht braucht man erst eine ausgeprägte Fantasiewelt oder wenigstens die zu ihrem Aufbau nötigen Werkzeuge, um in Spielen mehr sehen zu können als eine Befriedigungsmaschine? Welche Wirklichkeit offenbart sich meinem Kind durch einen Bildschirm? Oder genauer: Habe ich überhaupt selbst verstanden, welche Wirklichkeit ich in Spielen erlebe?

Ich habe das Gefühl, dass die meisten Spiele sich ihres Traumhaften nicht bewusst sind und sogar viel zu stark auf ihren angeblichen Zusammenhang pochen oder ihn erzwingen oder durchsetzen wollen. Ich vermute, dass dieses Pochen auf Kohärenz in den meisten Fällen nur den Traumcharakter verstärkt, weil es eine weitere Verengung ist und zwangsläufig ständig auf Widerstände und Widersprüche stößt oder sie erst provoziert. Vor allem erschweren sie damit ihr größeres eskapistisches Potenzial. Man muss die sehr verengten, sehr begrenzten Videospielwelten mit großer Anstrengung aufknacken und umformen, damit sie ein Teil der Fantasie werden können. Sie müssen das explizit Spielhafte verlieren, um zum Traum zu werden.

Vielleicht verschiebe ich das auf nach die Krise, vielleicht in ein paar Jahren.

Auch wenn ich also gerne mehr mit meinem Kind spielen möchte: Ich verschiebe es auf nach die Krise, vielleicht in ein paar Jahren, wenn es genug narrativen und fantastischen Ballast angesammelt hat, um die Videospielwelten anzureichern mit dem, was er aus Büchern, Filmen und Serien gelernt hat. Spiele sind noch kein Rückzugsraum für ihn, kein emotionaler Spielplatz oder Trainingshalle für seine motorischen und intellektuellen Fähigkeiten.

Ich habe aber trotzdem gesehen, wie ich mit ihm Spiele gemeinsam erleben kann: Indem ich mit ihm am Fernsehen VideospielerInnen zuschaue, die gemeinsam mit anderen Spielen, Spaß habe und ihre eigene Spaßwelt erschaffen, an der wir teilhaben können.

Das ist ganz rührend: Die Freude am Spielen ist viel besser als die Spiele selbst.

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Lokal ist nicht schlau: Ein Interview mit Mundaun-Entwickler Michel Ziegler

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Das Mitte März erschienene Mundaun fand medial viel Beachtung (hier Rainers Review), nur hier noch nicht. Dabei ist es vielleicht das ultimative Videogame-Tourism-Spiel: In 7 Jahren (fast) Solo-Arbeit zusammengezimmert, ästhetisch innovativ, spielerisch verblüffend souverän und abwechslungsreich, und mit beiden Beinen fest in der alpinen Folklore verwurzelt.

Grund genug, zum Erscheinen der Switch-Version noch einmal die alte VGT-Chaos-Maschinerie anzuwerfen und ein typisch langes, sehr helvetisches Interview mit Mundaun-Entwickler Michel Ziegler zu führen: Unter anderem über die (Un-)Möglichkeit, virtuelle Orte real erneut zu besuchen, den richtigen Umgang mit Fördertöpfen, guten Heimat-Kitsch, die Notwendigkeit von überflüssigen Heuladern in Spielen, das seltsame Verhältnis der Schweizer zum Krieg, und die Frage, wie man sich 7 Jahre lang nicht verzettelt und trotz null Erfahrung gutes Game Design abliefert.

Videogame Tourism: Mundaun ist nicht nur der Name deines Spiels, sondern auch eines für dich wichtigen Ortes in den Schweizer Bergen, der das Spiel massgeblich beeinflusst hat. Wie oft musstest du mittlerweile nach Mundaun fahren im Zusammenhang mit dem Marketing?

Michel Ziegler: Drei- bis viermal. Alle haben irgendwie alle dasselbe gewollt. Aber man ist ja auch dankbar dafür, dass es die Leute interessiert, da sagt man nicht nein.

Hat sich dein Verhältnis zum Ort Mundaun verändert? Durch die Erstellung des Spiels, aber auch durch diese PR-Besuche?

Ein wenig vielleicht. Da das Projekt so lange gedauert hat, haben sich die Besuche und Ferien dort auch allmählich anders angefühlt. Es war irgendwie vorbelastet. Man sagt sich: “Ich könnte hier noch diesen Sound aufzeichnen, oder ein Foto machen, oder das Ding finden, das ich brauche…” Es war dadurch kein Ort mehr zum Abschalten.

Denkst du, das kommt wieder? Oder hast du mittlerweile das Gefühl, dass Mundaun für dich verbraucht ist und du lieber anderswo Ferien machst?

Das nicht. Ich fuhr ja auch da hin, weil die Zeit oder manchmal das Geld fehlten für einen anderen Ort. Und in der Pandemie war es ohnehin ein guter Ort -- wenige Leute, viel frische Luft.

Hat sich auch dein Verhältnis zu den Menschen dort verändert? Das Spiel hat ja auch in der Schweiz relativ viel mediale Aufmerksamkeit bekommen. Haben die Leute dort mitbekommen, dass du ein Spiel über “ihren” Ort machst?

Ich glaube nicht, dass sie das mitbekommen haben. Es ist sehr klein. Ich weiss nicht, wer dies hätte verfolgen sollen. Dagegen habe ich von einem Anwalt in Zürich gehört, der in Mundaun bauen oder ein Hotel renovieren will. Er wollte mich anstellen für ein PR-Ding und wollte mich bekannt machen mit dem Bürgermeister, bevor ich dann nichts mehr gehört habe. [lacht] Aber sonst haben die Leute vermutlich wenig mitbekommen. Dagegen habe ich nach dem Release Feedback bekommen von Leuten aus Graubünden, oder Rätoromanisch sprechenden Personen, das meistens positiv war. Aber eher von jüngeren Menschen, die auch Games spielen.

Und in deinem Umfeld? Haben die Leute dort das Spiel gespielt? Oder ging das völlig an ihnen vorbei?

Es war schon oft eine Arbeit im stillen Kämmerlein. Die Zeit ist letztlich auch so schnell vorbeigegangen, ich war immer so beschäftigt. Gelegenheit zu sagen, wo man gerade steht, blieb da gar nicht so sehr. Ich war meistens eher im Stress. Man wusste schon davon, aber vielleicht glaubte man auch gar nicht mehr daran, dass es tatsächlich erscheinen wird. Game-Entwicklung war, zumindest bei mir, ein einsames Ding.

Ein Screenshot aus Mundaun. Zu sehen ist ein Priester, der am Altar einer Kapelle steht

Deinen beruflichen Hintergrund -- Informatik, dann Studium der Illustration -- hast du ja bereits häufiger erklärt in Interviews. Interessieren würde mich aber etwas Anderes: Du wohnst ja in Luzern, einem sehr katholischen Kanton. Bist du auch religiös aufgewachsen? Ich frage dies, weil ich selbst in einer stark katholisch geprägten Gegend aufgewachsen bin. Dort war ein Bezug zu Sagen nicht nur etwas “Angelesenes”, sondern etwas Erlebtes. Meine Eltern und Großeltern, teilweise aber auch Leute aus meiner Generation, waren noch tief verwurzelt in der quasi-mystischen Seite des Katholizismus, wo man mit Toten redet, Geister sieht und der Teufel umgeht.

Ich komme ursprünglich aus dem Kanton St. Gallen, wo der Katholizismus zwar auch präsent ist, aber nicht in dieser Weise. Ich habe mich tatsächlich eher “reingelesen” in diese Tradition. Als Kind hatte ich eine Kassette mit eher düsteren Sagen, die ich rauf und runter gehört habe. Das hat mich sehr begeistert, und es ist sicher eingeflossen in dies Spiel.

Hast du Lieblingssagen?

Das ist schwierig… ich habe generell ein mega schlechtes Gedächtnis. Zurückgeblieben ist mehr eine Atmosphäre, ein Gefühl, als konkrete Geschichten oder Plots. Was mir sicher immer gefallen hat, waren alle Geschichten, in denen der Teufel vorgekommen ist.

In Mundaun nimmst du ja teilweise Bezug auf solche Geschichten, die zumindest in der Schweizer Folklore sehr bekannt sind. Hattest du in der Spoiler-fixierten Kultur, in der wir ja leben, je Bedenken, ob du dadurch zu offensichtlich bist und einem Teil des Publikums eine Überraschung vereitelst?

Nein. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn jemand beim ersten Treffen erkennt, mit wem sie es zu tun haben. Die Geschichte von Mundaun hängt auch nicht zu stark an Überraschungen oder Plottwists.

Die Kehrseite der größeren Vertrautheit wäre es ja, dass Spieler:innen aus anderen Kulturkreisen das Ganze als Mindfuck, als völlig seltsam empfinden. Gab es solche Reaktionen? Wie gehen die Leute mit dieser “Fremdheit” um?

Es gab schon gewisse Kommentare in diese Richtung. “Creepy” und “weird” sind Begriffe, die oft gefallen sind. Das war aber durchaus auch eine Absicht oder eine Hoffnung: Dass Mundaun interessant ist für Leute, die diese Welt überhaupt nicht kennen.

Es war immer ein Grundsatz, dass sich das Spiel nicht anpassen muss an Genre-Ware. Das Spezifische und Eigenartige sollte beibehalten werden.

Es war immer ein Grundsatz, dass sich das Spiel nicht anpassen muss an Bekanntes, an Genre-Ware. Das Spezifische und Eigenartige sollte beibehalten werden und das Spiel ausmachen. Und bewusst nicht nur für Leute, die damit vertraut sind. Das Spiel ist durchaus gedacht als Einblick in ein kurliges Universum für Leute aus anderen Kulturen.

Und das Spiel bietet trotz Postauto und Schweizer Militärtornister ja genug, das “universell” ist und Anknüpfungen erlaubt.

Ich denke auch. Mir haben auch Leute aus Asien oder Südamerika gemeldet, dass das Spiel sie an Geschichten erinnert hat, die sie von sich zu Hause kennen. Es gibt narrative Aspekte, die Entsprechungen haben in düsteren, manchmal aber auch witzigen Geschichten aus anderen Kulturen. Damit kann Mundaun auch eingeordnet werden.

Was mir auch aufgefallen ist: Du hast in vielen Interviews bei der Frage nach deinen Einflüssen Dinge zitiert wie Kubricks The Shining, Gotthelfs Die schwarze Spinne... aber kaum je Spiele. War das bewusst? Ich hab manchmal das Gefühl, dass viele der interessantesten Entwickler selbst nur sehr eingeschränkt Computerspiele spielen… gilt dies auch für dich?

Das war keine bewusste Abgrenzung. Ich game sehr gern, alles von Assassin’s Creed bis… ok, mir wird gerade klar, dass ich eigentlich einen sehr schlechten, sehr mainstreamigen Game-Geschmack habe. [lacht] Aber der Grund, warum ich in diesen Interviews nicht über Spiele gesprochen habe, ist schlicht, dass ich aus diesem Bereich keine direkten Inspirationen nennen könnte. Klar, ich finde Silent Hill gut. Aber Mundaun ist nicht wirklich von Silent Hill inspiriert. Ich hatte auch kein Spiel als Vorlage herangezogen. Natürlich findet man dann aber doch Parallelen. Ein Artikel hat zum Beispiel die Ähnlichkeit zur “Highway 17”-Sequenz in Half-Life 2 gesehen. Und das ist absolut treffend. Es sind insofern eher sehr spezifische Dinge aus Spielen, die mir gefallen habe, die ihren Weg ins Spiel gefunden haben. Dennoch wollte ich bewusst von Anfang an mein eigenes Ding aufbauen, nicht Konventionen folgen. Nicht, dass ich das an sich schlecht finde. Ich spiele durchaus gern absolut generischen Scheiss. Das ist eigentlich lustig, ein Widerspruch. Vielleicht liegt es einfach daran, dass es mich als Macher mehr interessiert, etwas Eigenes zu entwickeln. Wenn du nichts Persönliches einbringst und stattdessen einfach überlegst, “Ok, ich mach jetzt ein Rogue-like mit einem neuen Artstyle”, das ist nicht wahnsinnig spannend. Und ich könnte es wohl auch gar nicht.

Das kommt dem Spiel letztlich auch zugute, finde ich. Ich kenne viele Indie-Spiele, die ich ästhetisch extrem spannend finde, aber bei denen der Gestus der Abgrenzung dazu führt, dass sie dann teilweise spielerisch dürftig sind. Das ist bei Mundaun nicht so.

Klar, und es gibt natürlich auch geile Entwicklungen im Indie-Bereich. Ich bin etwa begeistert, wenn Leute etwas versuchen, die Immersiv Sim neu zu denken. Aber ich hatte eine Weile auch den Eindruck, dass es fast verpönt war, ein “Spiel” zu machen. Dass “Systeme” etwas waren, das man abstreifen wollte, um mehr zu sein, um pur zu sein. Ich denke aber, das ist eine Phase, die jedes Medium einmal durchmacht. Dieser extrem dogmatische Ansatz, der sagt: “Games müssen das sein, und das nicht.” Aber das hat sich mittlerweile vermutlich etwas gelegt. Die Bandbreite an Spielen, auch Indie-Spielen ist so gewaltig. Man traut sich, alles zu sein, zu zitieren, zu machen, was man wirklich will.

Ein Screenshot aus Mundaun. Zu sehen ist ein Alpenpanorama und eine Sitzbank

Nicht nur Mundaun, auch du widersprichst gewissen Indie-Klischees. Dem des “typischen” Schweizer Indie-Entwicklers, etwa. Da denkt man zunächst an den Game-Design-Studiengang an der Zürcher Hochschule der Künste, und dann an diesen “Kuchen”, der sich um die Pro Helvetia und die hiesigen Games- und Film-Festivals gebildet hat. Inwiefern empfindest du dich als Teil davon?

Nicht wirklich. Ich habe ja Illustration studiert, nicht Game Design. Aber klar, es bilden sich schon Szenen um solche Institutionen. Auch ich hab Berührungspunkte, aber ich habe es durchaus auch geschätzt, da etwas außerhalb zu stehen.

Ich habe viele internationale Kontakte. Das ist letztlich bereichernder, als wenn man in seiner lokalen Szene bleibt.

Ich habe stattdessen auch viele internationale Kontakte mit Menschen, die spannende Sachen machen. Man muss diese Dinge ja nicht immer lokal sehen. Der Sound-Designer von Mundaun kommt zum Beispiel aus Atlanta. Das ist letztlich bereichernder, als wenn man in seiner lokalen Szene bleibt. Und eine bessere Ergänzung zur stillen Kammer daheim.

Was dann doch eher lokal ist, ist die Kulturförderung, von der dein Projekt teilweise getragen worden ist. Wie war dies? Musstest du bei Anträgen den Fokus auf die künstlerische Qualität legen, oder musstest du auch kommerzielle Qualitäten des Projekts präsentieren?

Die Förderung durch Pro Helvetia hat schon auch einen Business-Fokus, man muss einen entsprechenden Plan präsentieren. Aber bei anderen Förderstellen habe ich eher das gestalterische in den Vordergrund gestellt. Man muss halt ein wenig schlau agieren, sich fragen, was der Fokus ist. Und da es neben der Pro Helvetia kaum Game-Förderung gibt, muss man entsprechende Zugänge finden: “Das ist ein gestalterisches Projekt, das ein Game ist”, nicht umgekehrt. Dabei hat sicher der Aspekt der handgezeichneten Grafiken geholfen.

Hast du bei solchen Förderstellen eher Offenheit und Interesse oder Skepsis erlebt?

Das Projekt ist eher gut angekommen. Die Haltung war meistens eher: “Oh, das ist ja mal ein interessantes Spiel.” Und ich habe sehr oft gehört: “Ich bin ja kein Gamer, aber das da finde ich gut.” Und ich nehme das ja auch gern an. Die Absicht hinter der handgezeichneten Grafik war es natürlich nicht, Zugang zu solchen Fördertöpfen zu haben. Aber wenn es mir geholfen hat, ist das natürlich cool. Und natürlich habe ich auch viele Absagen bekommen. Das ist wie bei allen solchen Projekten, man muss Zeit investieren, um die Finanzierung sicherzustellen. Manchmal klappt es, manchmal nicht.

Denkst du, es ist ein geeigneter Weg für andere Schweizer oder andere Entwickler, über Fördergelder ihre Spiele zu finanzieren? Oder denkst du, dass Mundaun außergewöhnlich war in dieser Hinsicht?

Schwierig zu sagen. Ich denke, letztlich muss man es einfach probieren. Und die Zeit investieren, um ein gutes Dossier zu machen. Und klar, man muss sich im Klaren sein, an wen man sich wendet. An einen Kunstförderungs-Fonds schickt man nicht einen Marketing-Plan. Und man muss natürlich auch sagen: Das Geld, das man so im besten Fall mobilisieren kann, reicht trotzdem hinten und vorne nicht für das Budget eines Games. Aufwand und Ertrag ist ein großes Thema hier, zumal viele dieser Institutionen mit Spielen immer noch nicht vertraut sind. Aber es tut sich hier vielleicht auch etwas.

Immerhin ist die leidige Diskussion darüber, ob Spiele jetzt Kunst seien, nicht mehr so präsent…

...obwohl es die schon immer noch gibt in gewissen Kreisen. Da lache ich auch gern gelegentlich darüber. Es ist die längste und potenziell sinnloseste Diskussion der Welt.

Ein Screenshout aus Mundaun. Zu sehen ist eine Brücke, die aus einer Felsspalte heraus beobachtet wird

In einem Interview hast du gesagt: “Lokal ist nicht schlau.” Das war ein schöner Satz, der mich erinnert hat an etwas, das die Schriftstellerin Dorothee Elmiger einmal in einem Interview gesagt gesagt hat: “Mich nerven halt diese Schweizer Alpenbücher, diese Geschichten aus den Bergen mit ihren archaischen Gestalten. Diese Kobolde oder was. Das ist doch einfach Ethnoliteratur. Die Alpen werden zu einer seltsamen Idylle verklärt.” Gab es bei dir auch Momente, in den du Angst hattest, auf dieser Schiene zu landen? Lokalkolorit-Overkill? Alpen-Ethnokitsch?

Nein, ich habe es nie so angeschaut. Klar ist es irgendwie verklärt. Es war aber nicht das Ziel, einen Kommentar zu machen, so etwas interessiert mich weniger. Ich würde sogar zugeben, dass die Welt von Mundaun in gewisser Hinsicht kitschig ist. Aber das war mir auch bewusst, dass irgendwo diese Vision der heilen Alpen-Welt reinspielt. Letztlich hängt es jedoch davon ab, was man damit macht. Man könnte das Ganze natürlich mit Klischees vollladen. Aber es ist mehr eine Location, in der das Game spielt. Diese Idee, dass die Welt früher besser war und in den Bergen immer noch, das ist hoffentlich nicht erkennbar. Ich hatte zugegebenermaßen manchmal Angst, dass plötzlich die SVP kommt und zu mir sagt: “Geil, das ist jetzt mal ein richtiges Schweizer Spiel.” Diese Befürchtung, dass es Leute gibt, die das so interpretieren, war schon da.

Da hilft es ja wohl auch, dass Mundaun auch ein Horror-Spiel ist. Von Idylle und heiler Welt ist nicht lange viel zu sehen. Selbst gewisse Enden des Spiels dekonstruieren die Idee, dass alles wieder gut sein kann.

Ja, und wenn man die Achievements anschaut, ist dies das Ende, das die meisten Spieler wählen. Ich selbst hätte vermutlich auch dieses gewählt: Der Weg dahin führt ja über den Versuch, dem Teufel das Handwerk zu legen. Ich selbst agiere in den meisten Spielen ja auch eher auf die moralisch gute Weise. Wenn das Ende dann doch nicht ganz so happy ist, ist das hoffentlich auch eine gute Überraschung.

Möglich wäre ja auch die umgekehrte Reaktion gewesen: Dass sich der Mundauner-Tourismusverbund darüber echauffiert, dass das Spiel die Gegend in einem so düsteren Licht malt.

Eh, man weiss nicht, wie die Leute reagieren. Es wäre ja auch schön gewesen, zu hören: “Jetzt kommen die Leute nicht mehr Skifahren hier, weil sie denken, dass da oben der Teufel wohnt!” Aber letztlich sind das parallele Welten, an den typischen Ski-Touristen geht das Spiel vorbei.

Man darf also nicht erwarten, dass künftig in einem Tourismus-Büro neben Hochglanzprospekten eine Box-Version von Mundaun zum Kauf angeboten wird?

Du wirst lachen, aber so etwas habe ich mir schon überlegt. Oder eine Museumsversion. Man muss sich ja fragen, wie man davon leben kann. Aber das ist dann irgendwann untergegangen, zum Glück, als ich durch den Publisher ein Budget erhalten habe.

Ein Screenshot aus Mundaun. Zu sehen ist die Karte einer Bergfestung, die das Spiel-Pendant zum Schweizerischen Reduit ist

Thematisch hab ich mich auch gefragt, wie du zum Krieg gekommen bist. Mein Großvater, der den Zweiten Weltkrieg im Wallis, einem anderen Schweizer Bergkanton erlebt hat, beschrieb diese Jahre nicht ohne schlechtes Gewissen immer als eine letztlich nicht so üble Zeit: Er konnte als Militär-Trompeter täglich seiner Leidenschaft, der Musik, nachkommen, und war auf einem Grenzpass stationiert, auf dem sie sogar Freundschaften schlossen mit italienischen Truppen. Anders gesagt: Den Krieg erlebte man in der Schweiz nicht zwingend als Katastrophe. War das in deiner Familiengeschichte anders?

Das nicht, aber das Thema Krieg ist in der Schweiz halt schon unterschwellig immer präsent, mit unseren überall versteckten Bunkern, dem Reduit und der allgemeinen Wehrpflicht. Das hat mich schon als Kind fasziniert. Wir haben Militärlis gespielt mit alten Uniformen. Und ich fand diese Dinge, wie den alten Militärtornister des Großvaters, hatten schon eine Anziehungskraft.

Das Thema Krieg ist in der Schweiz halt schon unterschwellig immer präsent.

Es ist ein Teil der Schweizer Identität, auch wenn wir nicht aktiv am Krieg teilgenommen haben. Ich finde das durchaus merkwürdig, diese Mentalität, diese Idee, man sei stets “ready” für den Ernstfall. Ich hab darin einen schönen Ausgangspunkt für eine Legende gesehen, als ich schon relativ früh überlegt habe, um was es im Teufelspakt gehen könnte. Bei der Game-Entwicklung kann man dann ja auch nicht mehr zurück nach einer solchen Entscheidung. Man muss dass dann durchziehen, weil jede Änderung extrem aufwändig ist. Man ist insofern nicht sehr flexibel.

Die Idee mit dem Pakt kam also relativ früh?

Ja, diese Idee war ein Ausgangspunkt der Geschichte. Inspiriert sicher von Gotthelfs Die schwarze Spinne. Das war das erste Buch, das mir in der Schule gefallen hat.

Diese Inspiration ist sehr gelungen eingearbeitet. Sie ist nie explizit, aber immer spürbar. So sehr, dass ich während dem Spielen von Mundaun plötzlich Lust bekommen habe, die Novelle zu lesen.

Ja, das ist sicher sehr präsent. Dieser Aufbau mit Rahmen- und Binnengeschichte, aber auch diese Idee, dass die Vergangenheit auch die Gegenwart ist, dass sich diese Zeiten mischen. Das finde ich sehr spannend.

Das Kapitel mit dem “Reduit” in Mundaun fand ich ebenfalls sehr überzeugend. Ich hab still jubiliert, weil dieses gesamte, real-historische Projekt so absurd ist, aber in der Fiktion letztlich nicht oft verwendet wird.

Ich finde es auch sehr interessant. Dabei war es mir letztlich egal, ob es historisch korrekt ist. Das Schöne an der Fiktion ist ja, dass man dies relativ frei verarbeiten kann, ohne in der Pflicht zu stehen, dabei akkurat zu sein. Es wird ja auch nie explizit gesagt, dass die Welt von Mundaun die Schweiz ist. Es kann genauso gut eine Mischwelt sein, oder etwas von einem anderen Planeten.

Auch zeitlich oder historisch lässt sich das Setting nicht genau festlegen.

Das war durchaus Absicht. Das ist ja auch ein faszinierender Aspekt des reellen Mundauns: Dass die Gegenwart noch fast gleich aussieht wie die Vergangenheit. Wenn man sich einige wenige moderne Dinge oder Häuser wegdenkt, ist man zurück in der Historie.

Gehört der “Muvel”, der Heulader, mit dem man im Spiel durch die Bergwelt fährt, zu den Dingen, die man wegabstrahieren muss?

Nicht unbedingt. In der Realität heisst das Ding “Muli”, auch wenn ich den Namen ändern wollte, um nicht plötzlich eine Klage am Hals zu haben. [lacht] Ich kenne dieses Gefährt von den Ferien bei meinem Großvater. Sein Nachbar ist ein Bergbauer, dem wir geholfen haben bei der Heuernte. Das sind starke Erinnerungen, diese Tage draussen in der Sonne mit dem Heu, und dem kleinen Karren, der das einsammelt.

Screenshot aus Mundaun. Zu sehen sind unter anderem ein Schweizer Chalet, eine Kapelle, und ein Heulader

Ich muss im Rückblick zugeben, dass ich überrascht war darüber, wie… kompetent das Spiel in Sachen Game Design war. Klar, der Begriff “janky” fällt teilweise zurecht. Aber als ich zum ersten Mal vom Spiel gehört habe, erwartete ich eher ein Spiel, das den Fokus auf die Ästhetik setzt und das Gameplay eher ignoriert, vielleicht etwas im Stil eines Walking Simulators. Das ist Mundaun aber nicht, es ist ein sehr souverän designtes, abwechslungsreiches Spiel. Vor allem das “Pacing”, die Rhythmisierung des Spiels ist für mich außergewöhnlich gelungen. Ich würde sogar sagen, dass es in dieser Hinsicht das bestes Adventure-artige Spiel ist, das ich je gespielt habe. Gab es hier Orientierungsgrößen, Inspirationen, an denen du dich ausgerichtet hast? Oder bist du per Intuition oder Testen darauf gekommen?

Es ist eine Mischung. Im Rückblick hat man manchmal das Gefühl, das Spiel sei “einfach so entstanden”. Aber natürlich trifft man jeden Tag zig kleine Entscheidungen, die prägen, in welche Richtung es geht. Es gab durchaus ein paar Eckpunkte: Den Bunker, den Skilift und so weiter. Das hilft als Anker. Ich konnte dann quasi alles dazwischen ausfüllen. Das ermöglichte es auch, weniger linear vorzugehen und gute Ideen an verschiedenen Stellen einzubauen. Dass es so gut funktioniert, ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass sehr viel Zeit investiert worden ist. Zu Beginn waren die Levels noch sehr “rough”. Alles andere braucht dann Zeit. Man muss immer wieder sehen, was noch Sinn macht, aber auch, was sich nicht mehr ändern lässt. Das klingt vielleicht esoterisch…

Ich würde eher sagen, dass es nach einem iterativen Prozess klingt.

Ja, das ist vermutlich genau das Ding. Ich verstehe nicht, wie manche Leute das Gefühl haben können, dass sie möglichst alles schon wissen müssen, bevor sie überhaupt mit er Arbeit beginnen.

Das Risiko dabei ist allerdings, dass man sich plötzlich verliert und alles ausufernd wird. Gab es diesen Punkt nie? Dieses Moment, in dem du dachtest: “Halt, jetzt muss ich aufpassen... was wollte ich eigentlich?”

Spiele leben ja auch von solchen Dingen, die man vielleicht hätte weglassen können.

Hier hat sich ausbezahlt, dass ich mit den früh definierten Schauplätzen und Levels den Scope bereits definiert hatte. Zwischendurch hab ich schon mal gedacht: “Oh shit, das ist mehr, als ich bewältigen kann.” Ich bin grundsätzlich schon sehr strukturiert vorgegangen, aber eben auch mit dieser Offenheit für Dinge, die noch cool sein könnten. Und ich bereue das auch nicht, Spiele leben ja auch von solchen Dingen, die man vielleicht hätte weglassen können. Ich war mir durchaus bewusst, dass Kritiken kommen würden im Stil von: “Warum muss jetzt noch dieser Heulader im Spiel sein?” Aber irgendwann kommt dann auch der Punkt, an dem man weiss: Jetzt ist gut, jetzt dürfen keine neuen Features mehr dazu kommen. Wir implementieren jetzt nicht auch noch Skifahren, so verlockend es auch wäre. [lacht] Bei so etwas hilft natürlich auch ein Publisher, der einen Meilensteinplan einfordert. Das hat mich schon vorwärts gebracht.

Es sind ja auch gerade diese “nicht offensichtlichen”, “nicht zwingenden” Einfälle, die zum Charakter und Abwechslungsreichtum des Spiels beitragen. Hattest du auch Leute, die geholfen haben beim Testen oder war dies auch ein Ein-Mann-Projekt?

Nein, gerade gegen Ende des Projekts hatte ich schon viel Hilfe, auch durch den Publisher. Es gab jemanden, der jeden Tag testen konnten, das war wie ein weiterer Mitarbeiter. Da hat jemand über 300 Stunden auf Steam mit dem Spiel. Es war unheimlich wertvoll, jemanden zu haben, der ständig testen konnte. Das hätte ich allein nie machen können, das Testen frisst immer mehr ja die gesamte Zeit auf. Es gibt diese Projektphase, in der Fortschritt verdammt hart erkämpft werden muss.

Die Kehrseite der Euphorie am Anfang, bei der alles motivierend und neu ist?

Ja, am Anfang hat man noch andere Ansprüche, man baut einfach ein, und hat sofort das Gefühl: “Das ist geil, das ist neu.” Aber gegen Schluss ist jedes Stückchen Politur einfach nur noch mühsam. Manchmal sollte man auch den Mut haben, diese berühmte Formel umzudrehen: Nicht, dass die letzten 20% des Projekts 80% der Arbeit bedeuten, sondern umgekehrt. Auch wenn man das Spiel dann billig raushauen muss.

Kannst du dir vorstellen, zur Abwechslung so zu arbeiten? Kleinere, rauere Projekte anstatt schon wieder ein Riesending?

Das muss ich mir ohnehin überlegen: Was kommt als Nächstes? Aber ich befürchte, dass ein vermeintlich kleines Projekt bei mir doch wieder zu etwas Großem heranwachsen würde.

Aber wirkliche “Vorbilder”, bei denen du Game-Design-Ideen abgeschaut hast, hattest du nicht?

Nein, auch wenn ich manchmal beim Blick darauf, wie andere arbeiten, etwa beim Level-Design, schon manchmal das Gefühl hatte: “Oh Mann, ich weiss gar nicht, was ich da eigentlich mache.” Obwohl ich spiele, seit ich 5 Jahre alt bin. Aber das Projekt hat auch eher angefangen mit einer Stimmung, die ich vermitteln wollte. Mundaun ist nicht aus einer Gampeplay-Idee heraus geboren. Das war eher Mittel zum Zweck, um diese Welt zeigen zu können. Mit der Zeit hat sich das zwar etwas verändert. Man wird ambitionierter, wenn man sieht, wie aus dem Gameplay heraus coole Momente entstehen. Plötzlich hat man dann konkrete Design-Ideen für Begegnungen, auch wenn dies natürlich ein Feld ist, auf dem man noch viel Potenzial gehabt hätte. Im Moment ist Mundaun noch recht sandboxy, was ich auch mag. Aber es ist auch ein Bereich, der Ressourcen frisst. Diese Interaktion mit Gegnern ist sehr anfällig für Bugs. Dort merkt man auch, warum viele kleinere Horror-Spiele ein sehr binäres System haben: Jemand folgt dir, wenn er dich erwischt, bist du tot. Das ist natürlich ungleich einfacher zu implementieren als komplexere Systeme, bei denen man dir zum Beispiel folgt. Aber dennoch, ich hasse diese Insta-Fail-Systeme, das war keine Option für Mundaun.

Das fand ich aber durchaus auch spannend. Ich war zwar nicht sonderlich gut und habe irgendwann gemerkt, dass meine Werte hoch genug waren, dass ich mich zäh durchquälen konnte durch Begegnungen. Aber diese Verlangsamung, die immer nur einen Schritt vom Tod entfernt war, hat für sehr intensive Momente gesorgt. Es gibt am Schluss ja diese Beschleunigung, bei der das Narrativ einen drängt zur Eile. Ich hatte dann gar nicht Lust zu testen, inwiefern die Systeme dies auch tun, ich “rollenspielte” vielmehr den Stress, schlich nicht mehr, kämpfte nicht mehr, sondern erzwang quasi durch Willensstärke und Abkürzungen das schnelle Ankommen am erwarteten Ort.

Die Positionierung der Gegner sollte das ja auch unterstützen. Wenn ein Spiel in der Erzählung eine solche Dringlichkeit behauptet, sollten die Mechaniken das unterstützen. Das ist nicht unbedingt einfach zu balancieren, aber es ist viel intensiver, wenn es funktioniert. Ein Spiel soll ja auch die Stärken des Mediums ausnutzen dürfen.

Ein Screenshot von Mundaun. Zu sehen sind Wanderwegweiser vor einem Nebelmeer

Es ist letztlich ja auch bewundernswert, dass du Mundaun nach all dieser Zeit überhaupt noch fertiggestellt hast. Viele Projekte, etwa auf Kickstarter,sterben ja irgendwann auf der Durststrecke, oder sie ersaufen im Feature Creep. Gerade für ein Debüt-Spiel ist Mundaun nach all diesen Jahren erstaunlich gut herausgekommen. Würdest du dich grundsätzlich als disziplinierten Menschen betrachten?

Während der Entwicklung bin ich morgens ins Büro, und zack, wie in einer Zeitmaschine war es plötzlich Abend.

Ehrlich gesagt glaube ich es auch noch nicht ganz, dass es erschienen ist. Aber ja, ich würde mich eigentlich schon als diszipliniert bezeichnen. Ich kann auch easy lange am selben Projekt arbeiten, ohne mich ablenken zu lassen. Man kennt das ja sonst, dass jemand wieder einen Tag lang auf Twitter versandet oder so. Das passiert mir höchstens jetzt, da es vorbei ist. Während der Entwicklung war das wirklich anders, ich bin morgens ins Büro, und zack, wie in einer Zeitmaschine war es plötzlich Abend. Ich war da ständig im Flow, ständig beschäftigt. Klar, es hat schon ein wenig Substanz gekostet, das merke ich jetzt vor allem.

Du brauchst also Erholung?

Ja. Ich versuche, die Situation wieder zu normalisieren. Abend ist Abend. Ich habe bemerkt, dass das nun verdammt wichtig ist. Gerade weil der Endspurt intensiv war, da hatte man das Gefühl, dass alles haarscharf noch gut herausgekommen ist. Der Druck ist ja enorm, dass man nicht ein halbgares Projekt rausgibt.

Habt ihr die Positionierung des Bolzens im Gewehr zurecht gepatcht? Mein Lieblingsreview zum Spiel auf Steam hat beanstandet, dass der Karabiner nicht realistisch dargestellt sei aus diesem Grund.

[lacht] Ich lese keine Steam-Reviews, das ist mir zu aufregend. Aber es zeigt, wie unberechenbar das Publikum ist. Durch Steam kommst du wirklich richtig auf die Welt. Das ist absolut freie Wildbahn.

Obwohl das Spiel ja mehrheitlich sehr positiv aufgenommen worden ist. Motiviert so etwas auch dazu, das Spiel “öffentlich” aufzuarbeiten? Die üblichen Post-Mortem-Talks an Entwicklermessen und so weiter? Oder ist das Spiel für dich jetzt “durch”, wenn der Marketing-Push vorbei ist?

Grundsätzlich tausche ich mich sehr gerne aus über das Spiel, über meine Erfahrungen. Über solche Dinge kann ich ewig diskutieren. Beim Format des “Talks” bin ich allerdings eher skeptisch. Dieses Stehen im Rampenlicht, mit einem vorstrukturierten Input… da müsste man mich eher zwingen dazu. Da sind mir informelle Gespräche lieber. Ich hab auch nicht das Gefühl, dass ich trotz allem wahnsinnig viel allgemein Relevantes über Games zu sagen habe. Aber es kommt auch auf dem Rahmen an. Etwas wie das a.maze-Festival könnte ich mir vorstellen, aber nicht so etwas wie die GDC, wo diese extrem hochgestochenen Titel für teilweise sehr banale Themen gewählt werden. Ich mach eher das, was sein muss.

Vielen Dank für deine Zeit!

Modtag! Modderview Kralich/David

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Nach der ersten Runde in den Bänden 6, 7 und 8 des Gameskultur-Bookazines WASD sowie 5 weiteren Fragebögen hier bei VGT liefert unser Gastautor Stefan Köhler nun nach langer Durststrecke endlich die dritte (und damit letzte) Folge der dritten Staffel seiner etwas anderen Interviewreihe. Diesmal berichtet David Driver-Gomm nicht nur von den schönen, sondern auch den hässlichen Seiten des Moddings …

Modderview – Staffel 3 – Folge 3: Kralich/David)

Nicht nur zu analogen, sondern auch zu digitalen Spielen gehörte von Beginn an das Interesse, Inhalte und Regeln den eigenen Vorstellungen anzupassen (mehr dazu im Beitrag „Modding“ von Stefan Köhler für das „Handbuch für Gameskultur“ (2020), inzwischen auch kostenfrei als PDF verfügbar). Eine starke Quelle der Motivation, Games zu bearbeiten, ist dabei Nostalgie.

Bei einer Spielreihe wie The Elder Scrolls mit inzwischen fünf Teilen ist es so wenig verwunderlich, wenn Modder:innen daran arbeiten, die Welten aus Morrowind und Oblivion in den unten im Interview erwähnten Projekten Skyblivion und Skywind mit der aktuellen Skyrim-Engine neu aufzulegen. Im Falle von Half-Life 2 kam die Mod Black Mesa als Remake des ersten Teils so gut an, dass mit Black Mesa: Blue Shift nun auch die modernisierte Umsetzung einer beliebten Erweiterung für Half-Life angekündigt wurde. Die Herausforderung für die Modder:innen bestand und besteht dabei darin, einerseits die Atmosphäre des Originals zu bewahren, andererseits aber auch die Möglichkeiten aktueller Spiele-Engines unter anderem in den Bereichen Grafik und Physik auszunutzen. Änderungen im Gameplay können denjenigen den Einstieg erleichtern, welche das Original nicht kennen, aber auch langjährige Fans mit lieb gewonnenen Gewohnheiten vor den Kopf stoßen – ein schwieriger Balanceakt.

Ein noch größeres Minenfeld der Erwartungen liegt jedoch vor Mod-Teams, die sich daran wagen, eine frühe Version von Half-Life 2 zu restaurieren, die 2003 während der Entwicklung (und damit unfertig) durch den deutschen Hacker ‚Ago‘ gestohlen und im Internet veröffentlicht, also ‚geleakt‘ worden war. Die Nostalgie verstärkt sich hier nicht nur dadurch, dass es bis heute noch keiner Mod gelungen ist, diese düsterere Fassung von Half-Life 2 als Spiel fertigzustellen, sondern auch angesichts des diffusen Ausgangsmaterials, das vielen verschiedenen Vorstellungen Raum gibt, wie Half-Life 2 hätte sein können (bzw. nach Ansicht mancher hätte sein sollen).

Die Entwicklung von Mods wie Dark Intervall oder Raising the Bar: Redux wird daher von Fans mit Argusaugen begleitet. Dass ein Hacker (der sich passenderweise ebenfalls ‚Ago‘ nannte) sogar nicht mal davor zurückschreckte, auch eine frühe Version von Raising the Bar: Redux zu ‚leaken‘, war dabei aber nur eine der Herausforderungen, denen sich David Driver-Gomm, Lead Developer dieses Projektes, im Laufe seiner Karriere als Modder stellen musste, wie er im folgenden Interview verrät (darunter findet sich ein Transkript, das noch zusätzliche Kommentare von ihm bietet!) …

Für alle, denen das Prinzip des Modderviews (noch) nichts sagt: Dieses wandelt sich von Interview zu Interview, da die Befragten nicht nur die an sie gestellten Fragen ändern/ersetzen können, wie sie es sonst mit Spieldaten tun. Durch ihre Überarbeitungen haben sie außerdem die Möglichkeit, Fragen im nächsten Modderview zu beeinflussen – nach dem Motto: „Don’t like the question? – MOD IT!“ …

Transkript des Interviews (mit zusätzlichen Kommentaren):

YOUR MODDER-NAME: Kralich/David

  1. What gave you the most frustration during modding? I like to learn new skills and in modding that has meant learning new games and ways to mod them. Sometimes the communities around smaller games aren't as inviting and I've had to power through a lot of elitism in my career. (Would like to add that I've also had the pleasure of working in friendly communities of helpful people)

  2. Do you know any mods that are better than the game they alter? I think Unification is a brilliant mod for Dawn of War, and I also love Dark Interval for Half-Life 2. I also appreciate patches for games like Skyrim or New Vegas to make them more playable!

  3. Do you prefer modding alone or as part of a team? I definitely prefer teamwork. Leading teams is a real joy and I love meeting new people. On more personal passion projects though I tend to keep things smaller and more controlled.

  4. Is there any mod you are looking forward to? I'm really looking forward to both Skyblivion and Skywind. I also can't wait for the next release of Black Mesa: Blue Shift.

  5. What was the most difficult part of developing your most recent project? A few years ago we suffered a malicious leak trying to kill my main project, Raising the Bar: Redux, whilst it was in its infancy. I'd never considered people could be so petty before then. It was a wakeup call to much better vet new members of the team. (Would like to add, some of my closest friends are people I met on this team. Teamwork is worth it even for times like this when one person tries to ruin it for everyone else)

Autor: 
Gast
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